Arbatos – Die Schöpfung

Arbatos – Die Schöpfung

Arbatos, Arbat und Ardwene

Usil betrachtete seine Schöpfung – Arbatos – voller Stolz. Zufrieden wanderte er durch düstere Wälder, ausgedörrte Wüsten und über majestätische Gipfel. Nach einiger Zeit beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Jeder neue Ort, den er erblickte, war erfüllt von Leben – sogar die im ewigen Eis erstarrten nördlichen Meere waren Heimat einer Vielzahl von Kreaturen geworden, an deren Erschaffung er sich nicht mehr erinnern konnte. Alle Wesen schienen in Gemeinschaften zu leben, nur er war alleine. Niemals würde er die Wunder seiner Welt mit jemandem teilen können.

Die wenigen vernunftbegabten Lebewesen, denen er auf seinen Wanderungen begegnete, bewunderten ihn zwar, boten ihm jedoch keinerlei Trost. Sie nannten sich Arbat und waren zufrieden mit ihrem einfachen, sorglosen Leben in einer Welt ohne Gefahren. Je länger er alleine blieb, umso unzufriedener wurde Usil und schließlich begann er sogar damit, seine Schöpfung zu zerstören, indem er monströse Kreaturen erschuf. Diese Dämonen verfolgten alles Lebendige und versuchten, es zu töten.

Für einige Zeit beobachtete Usil das grausige Schauspiel, das sich auf ganz Arbatos abspielte, doch bald schon langweilte ihn der Anblick und er schämte sich dessen, was durch seine Schuld aus der einstmals so friedlichen Welt geworden war. Um wenigstens einen Teil seiner Schöpfung vor der völligen Zerstörung zu bewahren, tötete er jeden einzelnen Dämon, den er finden konnte. Bei seiner Jagd entgingen ihm jedoch viele von ihnen und Usil begriff, dass Arbatos jetzt mit dem Makel des Bösen behaftet war. Nicht anders als das Gras, die Bäume und alles andere, das Usil erschaffen hatte, gehörten auch die Dämonen zu Arbatos. Sie wurden immer mächtiger und erschufen schließlich selbst Wesen, die ebenso bösartig wie ihre Schöpfer waren.

Trotz aller Anstrengungen Usils wurde Arbatos weiter zerstört und viele wunderbare Wesen verschwanden für immer vom Angesicht der Welt. Als er feststellte, dass einige der von ihm erschaffenen Dämonen beinahe ebenso mächtig waren wie er selbst, erkannte er schließlich, dass er keineswegs für immer alleine bleiben musste. Wenn es ihm gelungen war, mit den Dämonen zerstörerische Götter zu erschaffen, sollte er eigentlich auch in der Lage sein, nach seinem Vorbild schöpferische Götter zu schaffen.

Usil wusste, wie schwierig sein Vorhaben war. Die Erschaffung einer neuen Gottheit würde seine gesamte Aufmerksamkeit erfordern und während dieser Zeit wäre Arbatos den Dämonen hilflos ausgeliefert. Nur die Arbat hatten damit begonnen, die Schöpfungen der Dämonen entschlossen zu bekämpfen, doch ohne Usils Unterstützung waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Um ihnen wenigstens Hoffnung zu geben, erschuf Usil eine neue Welt, die jede Nacht den Himmel über Arbatos in ein sanftes, goldenes Licht tauchte. So konnten die Arbat sich nachts mit einem Blick vergewissern, dass Usil sie nicht vergessen hatte. Sie gaben dem gleißend hellen Objekt am Nachthimmel den Namen Gantum’or’Usil und kämpften weiterhin verbissen ihren aussichtslosen Kampf.

Derweil entschied sich Usil, seiner neuen Schöpfung die Gestalt einer Frau zu geben und sie Ardwene zu nennen. Schließlich stand er erschöpft vor seinem Werk, Ardwene öffnete ihre Augen zum ersten Mal und lächelte Usil glücklich an. In dem Moment erkannte Usil, dass seine Schöpfung erst jetzt vollkommen war. Endlich hatte er eine Gefährtin, die gemeinsam mit ihm die Wunder von Arbatos betrachten konnte.

Leider hatten inzwischen die Dämonen Arbatos beinahe vollkommen zerstört und anstelle einer friedlichen Welt konnte Usil seiner Gefährtin nur zeigen, was die Dämonen aus Arbatos gemacht hatten. Er schlug ihr vor, Arbatos vollkommen zu vernichten und gemeinsam eine neue Welt zu erschaffen, die frei von Dämonen war. Doch Ardwene lehnte diesen Vorschlag ab und erklärte, dies wäre den Arbat gegenüber ungerecht, da sie bei ihrem Kampf gegen die dämonischen Wesen soviel Leid auf sich genommen hatten. Usil begriff, dass sie recht hatte, war sich jedoch nicht sicher, ob sie überhaupt die Dämonen vernichten konnten, bevor der letzte Arbat starb. Er wollte so rasch wie möglich einen vernichtenden Schlag gegen die Dämonen führen. Ardwene hielt ihn davon ab und legte ihm dar, es sei sinnvoller, die Arbat für ihre unermüdlichen Bemühungen zu belohnen und ihnen Kräfte zu verleihen, die es ihnen ermöglichten, sich gegen die Dämonen zu behaupten. Also schenkte Ardwene den Arbat die Fähigkeit, Magie zu wirken. Unter Einsatz ihrer magischen Fähigkeiten gelang es den Arbat endlich, die Dämonen zurückzuschlagen.

Die dämonischen Schöpfungen waren Ardwenes Magie unterlegen und nur die mächtigsten – die Dämonengötter selbst – konnten den Arbat widerstehen. Gemeinsam war es Ardwene und Usil möglich, diese Dämonen zu besiegen. Doch bevor es Usil und Ardwene gelang, diese göttergleichen Wesen endgültig zu vernichten, konnte einer von ihnen seinen Charakter in Arbatos fest verwurzeln, bevor seine physische Existenz von Usil beendet wurde. Weder Usil noch Ardwene ahnten etwas davon und begannen damit, die Wunden der Welt zu heilen, neue Kreaturen zu erschaffen und Arbatos wieder zu einer friedlichen Welt zu machen.

Die Familie der Götter

Sie erfreuten sich an ihren gemeinsamen Schöpfungen und Ardwene gebar Usil schließlich einen Sohn, den sie Odoth nannten. Der erwachsene Odoth wurde von den Arbat sogar noch stärker verehrt als Usil oder Ardwene, da er wie sie in die Welt hineingeboren worden war und sehr viel Zeit mit ihnen verbrachte.

Während die Wunden, die Arbatos durch die Dämonen erlitten hatte, langsam heilten, wurde Ardwene erneut schwanger und schenkte einer Tochter das Leben, die sie Sibita nannte. Wie schon zuvor ihr Bruder Odoth zeigte auch Sibita ein lebhaftes Interesse am Leben der Arbat. Sie freute sich über jedes geborene Kind, tanzte und feierte mit den Arbat, betrauerte den Tod, wenn einer von ihnen starb und kaum ein Arbat nahm sie als das göttliche, unendlich mächtige Wesen wahr, das sie in Wirklichkeit war.

Sibitas Geburt hatte Ardwene große Schmerzen bereitet und Usil beschloss, seiner geliebten Gefährtin nicht mehr die Strapazen einer neuerlichen Schwangerschaft zuzumuten. Damit Odoth und Sibita sich nicht einsam fühlen würden, zog Usil sich wieder zurück und schuf – dieses Mal gemeinsam mit Ardwene – neue Götter. Der erste Gott war Werkor, ein starker, treuer Krieger, der sich sogleich in Sibita verliebte. Danach erschufen sie die verführerische Katida, die ohne Verkleidung keinen Fuß unter die Arbat setzen konnte, da sich jeder einzelne Arbat in ihrer Gegenwart wie ein Narr verhielt.

Wie von Ardwene und Usil geplant, fühlten sich sowohl Werkor und Sibita als auch Odoth und Katida zueinander hingezogen. Schon bald hielten Ardwene und Usil ihre ersten Enkelkinder in den Armen. Zunächst wurde Dorwari von Sibita geboren. Schnell erwies sich, dass das kleine Mädchen nichts vom kriegerischen, aufbrausenden Wesen ihres Vaters hatte und sie zeigte sogar noch mehr Mitgefühl mit den Schicksalen der Arbat als ihre Mutter Sibita. Katida brachte Tuemal zur Welt, der ein sehr abenteuerlustiges Kind war und am liebsten mit seinem Vater Odoth oder seinem Großvater Usil durch die Wildnis wanderte. Die Arbat waren glücklich, da ihre Götter unter ihnen lebten, ihre Sorgen und Wünsche verstanden und daher keine Gefahr bestand, dass abermals Dämonen auf Arbatos auftauchten.

Im Laufe der Zeit begannen die Arbat damit, die Mitglieder der Götterfamilie zu verehren. Usil, der die gesamte Welt erschaffen und sie auch beinahe zerstört hatte, fürchteten die Arbat als unparteiischen, gerechten Schöpfergott, Ardwene, der die Arbat ihre Fähigkeit zum Wirken von Magie verdankten, wurde als Göttin der Magie angebetet, Odoth, der die Zusammenhänge der Schöpfung seines Vaters besser verstand als Usil selbst, verehrte man als Gott der Weisheit und zu Sibita beteten die Arbat, wenn sie von Ereignissen beunruhigt waren, die in der Zukunft vielleicht eintreten würden. Sie wurde zur Göttin des Schicksals verklärt. Sibita wäre nicht sie selbst gewesen, hätte sie nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Macht, die ihr von den Arbat nachgesagt wurde, gelacht oder gegenüber den übrigen Göttern gescherzt.

Den Arbat fiel es nicht schwer, dem aufbrausenden Werkor, der nur in der Nähe seiner Gefährtin Sibita oder seiner Tochter Dorwari entspannt und friedfertig war, mit Feuer, Kraft und der Verarbeitung von Metall zu assoziieren. Wann immer ein Feuer ausbrach oder außer Kontrolle geriet, war daran ein Streit zwischen Werkor und Sibita schuld. Die Tochter der beiden, Dorwari, wurde von den Arbat weniger gefürchtet als geliebt. Sie war friedfertig, kümmerte sich um kranke oder verletzte Arbat und andere Wesen und obwohl sie aus der Vereinigung von Werkor und Sibita hervorgegangen war, schien sie keine ihrer gefährlichen Eigenschaften zu besitzen. Sie wurde zur Göttin der Güte und des Mitgefühls. Man betete zu Dorwari, um ihre unberechenbaren Eltern im Zaum zu halten.

Als Katida die Zwillinge Besadi und Chillon zur Welt brachte, begannen die Arbat in ihr mehr zu sehen als die Essenz der Verführung. Obwohl sie nichts von ihrer Anziehungskraft verlor, verehrten die Arbat sie nicht mehr nur als Göttin der Liebe, sondern auch als Göttin der Fruchtbarkeit und des Haushalts. Tuemal, der älteste Sohn von Katida und Odoth, entwickelte sich vom wilden Kind zu einem noch wilderen Mann, der nichts so sehr schätzte wie die Jagd und es oft bedauerte, sich niemals mit wahrhaft gefährlichen Kreaturen wie den vernichteten Dämonen messen zu können. Es war unausweichlich, dass die Arbat zu Tuemal um Jagdglück beteten.

Tuemals jüngerer Bruder Chillon war auf seine Art nicht weniger wild, doch ihn faszinierte nicht die Gefahr beim Jagen, sondern die Unvorhersehbarkeit des Meeres. Für Chillon gab es nichts Aufregenderes, als mit einem zerbrechlichen Schiff in einen Sturm hinein zu segeln. Nur wenige Arbat lebten an den Küsten, aber sie erkannten in Chillon eine verwandte Seele. Wie der junge Gott liebten sie die Unberechenbarkeit der See, die sie an einem Tag friedlich und glatt mit den Früchten des Meeres belohnte, nur um am nächsten Tag vom Wind aufgepeitscht mit haushohen Wellen versuchte, die Klippen einzureißen. Chillon wurde für die See-Arbat zum Meeresgott und für die übrigen zum Sturmgott.

Seine Zwillingsschwester Besadi war ebenso hübsch wie ihre Mutter, aber distanzierter. Sie wurde zu Usils Liebling, da sie zwar wie er selbst die Welt Arbatos schätzte, aber sich im Gegensatz zu den meisten der übrigen Götter weniger als Bestandteil der Welt sah, sondern eher als Beobachter. Besadi brachte den Arbat bei, in der Welt mehr zu sehen als ihre Heimat, die sie mit der wachsenden Familie der Götter teilten. Sie zeigte ihnen, dass alles, was sie mit ihren Händen herstellten, nicht nur ein Werkzeug oder Hilfsmittel sein konnte. Sie ermutigte die Arbat, Gegenstände zu erschaffen, die keinen Zweck erfüllten und bereicherte damit ihr Leben. Die Arbat begannen damit, Kunstwerke zu schaffen, verzierten die Kultstätten, an denen sie die Götter verehrten mit Reliefs oder Skulpturen. Besadi verklärte man zur Göttin der Kunst und ihre Tempel und Stätten ließen die der anderen Götter ärmlich erscheinen.

Arbatos besaß nun zehn Götter, die mit den Arbat lebten und sich frei unter ihnen bewegten. Usil und Ardwene hatten weniger, die jüngeren Götter mehr mit den gewöhnlichen Bewohnern der Welt zu tun. Und der wilde Tuemal hatte viel zu viel mit den Arbat zu tun, wie sich in dem Moment zeigte, als eine weinende Arbat Tuemals Mutter Katida schüchtern ansprach und ihr einen laut schreienden Neugeborenen in die Arme legte. Die Mutter des Kleinen war bei der Geburt gestorben und sein Vater sei der Gott Tuemal, Katidas Sohn.Als er davon hörte, rief Usil alle übrigen Götter zu sich, um über das Schicksal des Kindes zu beraten. Tuemal war der Junge gleichgültig. Er hatte für seinen Sohn nur ein Schulterzucken übrig und empfahl, den Halbgott zu töten, da er weder ganz Gott noch ganz Sterblicher war. Werkor sprach sich dafür aus, zunächst abzuwarten, wie das Kind sich entwickelte. Sibita stimmte ihrem Mann zu, Dorwari forderte von Usil, das Kind einfach sofort zum Gott zu erheben und die Diskussion zu beenden. Sie seien es der Mutter, die durch die Schwangerschaft mit einem Halbgott zu schwach geworden war, um die Geburt zu überleben, schuldig. Immerhin hatte sie ihr Leben geopfert, obwohl sie gewusst haben musste, was in ihr heranwächst. Die Priesterinnen der Ardwene kannten Mittel, mit denen sie Schwangerschaften sicher beenden konnten, sofern das Leben der Mutter gefährdet war.

Katida unterstützte Dorwaris Forderung zusammen mit ihren jüngeren Kindern Chillon und Besadi. Ardwene überlegte eine Weile bevor sie schließlich Werkors Vorschlag befürwortete. Auch Odoth teilte Werkors vorsichtigeren Standpunkt. Der Junge war zwar sein Enkel und Odoth hatte lange genug unter den Arbat gelebt, um sie zu respektieren, doch er wusste auch um die Unterschiede zwischen Arbat und unsterblichen Göttern. Da die übrigen Götter sich nicht einigen konnten, beschloss Usil den Jungen zu beobachten und – zumindest vorerst – am Leben zu lassen. Tuemal hatte für die Entscheidungen nichts als ein Achselzucken übrig und verschwand wieder in der Wildnis von Arbatos. Besonders Tuemals Geschwister Chillon und Besadi hatten keinerlei Verständnis für die Gleichgültigkeit ihres älteren Bruders. Nachdem Katida ihrem Enkel den Namen Heuris gegeben hatte, zogen Chillon und Besadi den Jungen groß. Außer Tuemal beobachteten alle Götter neugierig, wie Heuris sich entwickelte. Keiner von ihnen gab es zu, aber alle fragten sich, ob der Kleine, der seine göttlichen Verwandten allesamt um den Finger wickelte, sobald er sie frech angrinste, sterblich oder unsterblich war.

Wurzeln des Bösen

Während die Aufmerksamkeit der meisten Götter auf dem heranwachsenden Heuris ruhte, beschäftigte Odoth sich noch intensiver mit der Schöpfung seines Vaters. Er erforschte Arbatos, sogar die Bereiche der Welt, in denen Usil die ersten Dämonen erschaffen hatte und wo die mächtigsten von ihnen Usil und Ardwene unterlegen waren. Odoth hatte sich schon lange gefragt, wie es den Dämonen gelingen konnte, sogar Usil zu trotzen, wo doch alles andere auf Arbatos dem Willen des Schöpfergottes unterworfen war. Eigentlich hätten die Dämonen, gleichgültig mit wie viel Macht Usil sie bei ihrer Schöpfung ausgestattet hatte, in dem Moment sterben müssen, in dem Usil sie loswerden wollte. Im Laufe seiner Nachforschungen erkannte Odoth, dass es den Dämonen irgendwie gelungen war, aus der Zerstörung von Usils Werken Kraft zu schöpfen. Seine Neugier war geweckt und ohne das Wissen seines Vaters oder eines der anderen Götter begann er, in den Höhlen der Dämonen zu experimentieren.

Rasch erkannte Odoth, dass ihn sein gewonnenes Wissen in die Lage versetzte, seinen Vater Usil herauszufordern. Zu Beginn seiner Experimente und Forschungen war es ihm nur um die Erlangung neuer Erkenntnisse gegangen. Odoth tat das, was er schon immer getan hatte und folgte seiner Neugier. Normalerweise zog er nach einer Weile, wenn er der Meinung war, seine Fragen seien beantwortet, einfach weiter. Doch je länger er sich in den Höhlen der Dämonengötter aufhielt, umso stärker war er dem Einfluss dessen ausgesetzt, das der mächtigste Dämon in Arbatos verankert hatte: der Essenz des Bösen, die Odoth langsam aber sicher veränderte.

Nach und nach begann er, auch mit lebenden Wesen zu experimentieren. Jedes Leben, das endete, setzte Macht frei, die man nutzen konnte, um Usils Schöpfung in etwas anderes zu transformieren. Je höher dieses Leben entwickelt war, umso mehr Macht wurde freigesetzt. Irgendwann kam der Moment, in dem er Arbat in die Höhlen verschleppte, um sie zu verbessern. Indem er einen Arbat tötete, konnte er mit der schöpferischen Macht einen anderen Arbat verändern. Nach und nach erschuf er sich so eine Armee treuer Diener, die zwar keine Magie mehr wirken konnten, aber die zum Ausgleich viel stärker als Arbat und immun gegen ihre Magie waren.

Als immer mehr Arbat verschwanden, wandten die besorgten Arbat sich an Sibita, die versprach, das Verschwinden der Arbat zu untersuchen.

Odoth verlor unter dem zersetzenden Einfluss des Dämons langsam seinen Verstand und er wurde unvorsichtig. Er begann, nicht nur einzelne Arbat zu entführen, sondern überfiel mithilfe seiner verderbten Arbat ganze Dörfer. Dabei wurde er von Sibita beobachtet, die ihn zur Rede stellte. Mit Odoths Reaktion rechnete sie allerdings nicht, denn er überwältigte seine Schwester und verschleppte sie zusammen mit den Arbat in die Dämonenhöhlen.

Sibita verschwand nicht zum ersten Mal. Werkor vermutete, sie habe sich für eine Weile zurückzogen und machte sich anfangs keine allzu großen Sorgen. Nachdem er auch nach fast zwei Jahren nichts von seiner Gefährtin gehört hatte, wollte Werkor sich auf die Suche nach Sibita machen, zuvor aber mit Usil und Ardwene sprechen. Vielleicht hatte Sibita ja mit ihnen über ihre Pläne gesprochen. Doch weder Usil noch Ardwene wussten, wo Sibita sein könnte. Sie gestanden Werkor, dass Odoth sogar schon länger als Sibita verschwunden war.

Jetzt machte Werkor sich wirklich Sorgen. Abgesehen von Usil waren Odoth und Sibita wohl die mächtigsten Wesen auf Arbatos. Also beschloss er, die anderen Götter um Hilfe bei seiner Suche zu bitten. Doch er konnte keinen einzigen überreden, ihn zu begleiten. Nur eine Person wollte mit Werkor losziehen. Heuris, der zu einem jungen Mann herangewachsen war, brannte darauf, etwas zu erleben. Mit zunehmendem Alter waren ihm die ständigen wachsamen Blicke seiner Verwandten aufgefallen und er hatte Besadi gefragt, was die Ursache dafür war. Sie hatte ihm wahrheitsgemäß geantwortet, dass sich alle Götter immer noch fragten, ob er Gott, Arbat oder etwas dazwischen war.

Werkor war zwar nicht sicher, wie ihm der junge Heuris helfen sollte, aber er akzeptierte schließlich und zog mit Tuemals Sohn los. Jetzt lernte Werkor den Jungen auch richtig kennen und ärgerte sich, dass er nicht Dorwaris Vorschlag befürwortet hatte, den Jungen einfach zu einem Gott zu machen. Denn Heuris hatte zwar einiges von Tuemals Wildheit geerbt, lachte aber auch gerne und was er auch tat, er hatte immer unfassbares Glück.

So war es auch Heuris, der durch Zufall die Dämonenhöhlen fand. Unter ihm gab plötzlich der Boden nach und er fiel in ein tiefes Loch. Werkor war sicher, dass sich jetzt zeigen würde, ob Heuris ein Unsterblicher oder ein Arbat war. Einen solchen Sturz konnte nämlich kein Arbat überleben, aber Heuris hatte es geschafft, sich an Wurzeln zu klammern, die ihn so weit abgebremst hatten, dass er nur einige Kratzer und einen eingerissenen Fingernagel zu beklagen hatte.

Odoths Reich

Der Schacht endete in einer riesigen Höhle, die taghell war. Wesen wie Werkor sie nie zuvor gesehen hatte, arbeiteten. Einige stellten Waffen her, andere ernteten Pflanzen, die alle aufgedunsen waren. Werkor wollte schon umkehren, da er befürchtete, hier auf einen Teil von Usils Schöpfung gestoßen zu sein, mit dem er nicht zufrieden gewesen war und den er deshalb an diesem unzugänglichen Ort vergraben hatte. Doch Heuris hielt ihn zurück. Der Junge deutete auf eine in schmutzige Lumpen gehüllte Gefangene, die in Ketten an die Wand gefesselt war, aus der das Licht die Höhle überflutete. Sie hatten Sibita gefunden, aber sie war in einem entsetzlichen Zustand und hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Skelett als mit der Frau, die für Werkor der Mittelpunkt seines Daseins war. Heuris versuchte zwar noch, ihn aufzuhalten, doch Werkor wurde nicht umsonst als Gott des Feuers verehrt. Wenn er wütend war, hielt ihn so schnell nichts mehr auf. Dann wurde er zu einer Naturgewalt. Doch diese Naturgewalt traf jetzt auf etwas ungleich Mächtigeres.

Odoth hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Gott, der er vor einigen Jahren gewesen war. In ihm hatte der Dämon die Kontrolle übernommen und wie Odoth das Äußere der Arbat verformt hatte, war auch sein Kopf von gekrümmten Hörnern gekrönt, seine Nase bildete mit seinem Mund jetzt eine Schnauze, aus der lange, scharfe Reißzähne ragten. Odoths Arme und Beine waren unnatürlich lang und sein Bauch zu einer grotesken Größe aufgequollen. Aber er war auch unglaublich mächtig. In ihm vereinten sich die göttliche Kraft Usils und die zerstörerische, dämonische Macht. Er stellte sich Werkor entgegen und schleuderte ihn lachend durch die halbe Höhle.

Heuris hatte dieses Wesen erst entdeckt, nachdem Werkor losgestürmt war. Dass das Wesen Werkor abschüttelte wie ein lästiges Insekt, schockierte Heuris. Alles in ihm drängte ihn zur Flucht, doch dann sah er Sibitas flehenden Blick. Wenn er Werkor und sie der Gnade dieser Bestie überließ, könnte er niemals wieder einem der übrigen Götter in die Augen schauen.

Das Wesen durchquerte langsam die Höhle. Heuris schämte sich für die Erleichterung, die er empfand, dass er noch nicht entdeckt worden war und das Wesen sich der Stelle näherte, wo Werkor liegen musste. Heuris fasste sich ein Herz und rannte zu Sibita, die ihn verzweifelt anblickte. Wenn etwas einer der mächtigsten Gottheiten das antun konnte, wie würde es dann erst Heuris ergehen, der vielleicht sogar sterblich war? Er untersuchte Sibitas Ketten, wusste aber nicht, wie er sie befreien sollte. Ihre Handgelenke, Fußgelenke und ihr Hals waren von Ringen umschlossen, durch die Ketten liefen. Diese Ketten endeten alle in einem weiteren, wirklich mächtigen Ring, der halb in der Wand versenkt war und aussah, als habe er schon existiert, als Usil die Welt erschaffen hatte.

Werkor war wieder auf den Beinen, wirkte jedoch ein wenig unsicher. Das gehörnte Wesen und Werkor umkreisten sich langsam. Das gab Heuris Zeit. Er suchte nach etwas, mit dem er die Kette zerstören oder öffnen konnte. Sein Blick fiel wieder auf Werkor. Wenn jemand die Macht und Kraft besaß, Sibitas Ketten zu sprengen, dann war es Werkor. Heuris schluckte. Das bedeutete, dass er die Bestie ablenken musste.

Auf dem Boden lagen genug faustgroße Steine. Heuris sammelte einige, entfernte sich ein gutes Stück von Sibita und begann, das Wesen mit Steinen zu bewerfen.

Weder Odoth noch der Dämon war Widerstand gewohnt und so drehte sich das Wesen zu Heuris und bewege sich auf ihn zu. Werkor wollte die Bestie angreifen, als Heuris den Kopf schüttelte und auf Sibita deutete. Werkor nickte und lief zu seiner Gefährtin. Beim Anblick der Ketten loderte seine Wut wieder auf. Er ergriff jede der fünf Ketten und zerriss sie einfach.

Heuris warf weiter mit seinen Steinen auf die Bestie, die ihm langsam aber sicher immer näher kam. Hätte er gewusst, wo der Ausgang dieser Höhle sich befand, dann wäre er dorthin gelaufen, aber in die gewaltige Kaverne mündeten so viele Gänge, dass es sogar für ihn aussichtslos war, auf gut Glück in einen von ihnen zu laufen in der Hoffnung, er führe zum Ausgang.

Sibita fiel Werkor dankbar in die Arme, doch als er versuchte, sie hochzuheben, um sie in Sicherheit zu bringen, wehre sie sich und deutete zu einer Nische in der Wand. In der Nische stand eine Wiege und in der Wiege bewegte sich ein kleiner, etwa einjähriger Junge, der glucksend mit einigen Holzklötzen spielte. Der Kleine hielt den Kopf schief und grinste Werkor frech an. Das Kind hatte Sibitas Augen. Werkor war noch nie in seinem Leben so wütend. Er hob die Hand und wollte das Kind umbringen, dich Sibita hielt ihn auf. Sie erklärte ihm mit gebrochener Stimme, dass diese Bestie, die Heuris verfolgte, niemand anderes als ihr Bruder Odoth war. Irgendetwas hatte von ihm Besitz ergriffen und ihn dazu gezwungen, Sibita gefangenzuhalten und zu missbrauchen. Sibita war schwanger geworden. Doch sie war überzeugt, dass das Kind unschuldig war und viel von Odoth und ihr selbst in sich trug. Sie hatte den Kleinen Padus genannt. Odoth war wahrscheinlich verloren, doch Padus, ihr gemeinsames Kind, konnte noch gerettet werden. Sie lächelte Werkor zu. Er konnte Werkor ohnehin unmöglich töten, da Padus ohne jeden Zweifel ein unsterblicher Gott war.

Sibitas Lächeln ließ Werkors Wut verrauchen. Er umarmte Sibita noch einmal, hob Padus hoch, sah genau nach, ob der Junge auch keine Hörner wie sein Vater hatte und reichte ihn Sibita.
Sibita deutete auf einen der Gänge und lief so schnell sie in ihrem Zustand konnte, dorthin. Werkor aber riss eine der Ketten aus der Verankerung und ging mit ihr auf die Bestie zu, die einmal Odoth gewesen war. Wenn Usil erfuhr, was sein Sohn getan hatte, dann würde er mit aller Macht gegen ihn vorgehen. Doch vorher wollte Werkor Odoth noch Schmerzen zufügen.

Heuris war erleichtert, als Werkor mit der Kette ausholte und sie der Bestie um die Beine schlang. Werkor zog und das abstoßend hässliche Wesen fiel mit den langen Armen rudernd zu Boden. Werkor konnte einige Treffer mit seinen Fäusten landen, dann richtete sich das Wesen wieder auf und näherte sich dem Gott des Feuers. Heuris befürchtete, Werkor beabsichtige, weiterzukämpfen, aber Werkor deutete auf einen der Höhleneingänge und wich langsam vor dem Ansturm der Bestie zurück.

Heuris rannte zu dem Gang und war froh, als er Sibita weit vor sich erkannte. Gemeinsam mit Sibita trat er aus der Höhle und noch nie war Heuris so glücklich gewesen, vom Regen durchnässt zu werden. Er war der Höhle und der Bestie entkommen, Sibita war frei und wie es aussah, hatte Sibita während ihrer langen Abwesenheit ein Kind bekommen.

Werkors Flucht verlief nicht ganz so reibungslos. Mehr als einmal wurde die Höhle von mächtigen Schlägen erschüttert, aber schließlich trat auch Werkor in den Regen und alle vier entfernten sich so schnell sie konnten von diesem Ort des Bösen.

Usil war, wie Werkor schon geahnt hatte, überaus enttäuscht von Odoth. Er ließ Padus von Ardwene untersuchen, die wie Sibita zu dem Schluss kam, der Junge sei vollkommen unschuldig – und ein Gott. Nachdem er lange mit Sibita, Werkor und Ardwene gesprochen hatte, ließ er alle anderen Götter und Heuris zu sich kommen. Er habe zwei Ankündigungen zu machen. Zunächst einmal verbannte er Odoth, weil er nichts als Leid über die Arbat und Usils gesamte Schöpfung brachte. Außerdem habe er beschlossen, Heuris Unsterblichkeit zu gewähren und ihn in der Götterfamilie aufzunehmen.

Die meisten Götter freuten sich über Heuris‘ Aufnahme. Sie bedauerten Odoths Verbannung, rechneten aber damit, dass Odoth sich Usils Wünschen unterordnen würde und nach einer Weile wieder mit seiner Begnadigung rechnen konnte. Immerhin war er ja der Erstgeborene von Usil und Ardwene.

 

Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, wie groß Odoths Macht tatsächlich geworden war und dass sie sich bald im Krieg der Götter befinden würden, der auf Arbatos noch immer ausgetragen wird. Nur eben nicht von den ursprünglichen Göttern, sondern den niederen Wesen: Arbat und Menschen.