Schon als ich an der Zitadelle der Götter gearbeitet habe, ist die anfangs recht übersichtliche Welt (es gab ursprünglich nur Morwindel und die barbarische Horde) innerhalb kurzer Zeit förmlich explodiert. Zeitweise schien Arbatos ein Eigenleben zu entwickeln und wurde Absatz für Absatz, Kapitel für Kapitel immer komplexer – sowohl auf geografisch-politischer als auch auf historischer Ebene. Eigentlich hatte ich schon damals geplant, den Arbatos-Zyklus in eine umfangreichere Reihe einzubinden, beginnend damit, wie es überhaupt zur Schöpfung der Zitadelle der Götter durch die Arbat kam, darüber, wie die Menschen nach Arbatos gelangt sind, bis hin zum Arbatos-Zyklus, der sozusagen die finalen Kapitel der Geschichte erzählt.
Aber … auf dem Weg habe ich mich verzettelt. Statt nach Abschluss der Zitadelle mit der Arbeit am Ersten Kapitel der ganzen Reihe zu beginnen, habe ich stattdessen sozusagen ein Stück aus der Mitte abgebissen und an der Ceras-Saga gearbeitet.
Da mit den ersten beiden Teilen der Ceras-Saga die erste Hälfte dieser Geschichte abgeschlossen ist (Teil 3 beginnt 16 oder 17 Jahre nach dem Ende von Teil 2, Mithras wird aber weiterhin eine der zentralen Figuren sein), habe ich mich entschlossen, die frühen Abenteuer der Arbat zu Papier zu bringen (na gut … in Scrivener Szenen zu erstellen).
Arbeitstitel dieser neuen Serie ist wie die Überschrift verrät Arbat-Chroniken, obwohl das auch ebensogut der Titel der Summe aller drei Teilserien werden könnte, wenn ich sie zusammenfasse und Teil 1 wird schlicht entweder Arbat und Gedar oder einfach nur Gedar heißen. Eine Hauptrolle spielt sicherlich Beniar, der zu Beginn seiner Reise noch nicht dieses abgrundtief böse, verschlagene Wesen ist, als das er seine Gastauftritte im Untergang von Ceras, Rache für Ceras und der Zitadelle der Götter hat.
Wie geht es weiter?
Am Samstag, dem 9.6 erscheint zunächst einmal mit Rache für Ceras der zweite Teil der Ceras-Saga.
Darüber hinaus schreibe ich am zweiten Arbatos-Zwischenspiel, das Kaya und Idu nach Mormund führt, wo sie im Umfeld des Handels mit der Droge Klarheit neue Abenteuer erleben dürfen – oder erleiden müssen.
Odoths Schatten, der zweite Teil des Arbatos-Zyklus, soll etwa 120.000 – 150.000 Worte lang werden und auch noch im Laufe des Jahres erscheinen.
Danach bereite ich alle Veröffentlichungen (außer dem Glossar) für den Schritt vom ebook zum gedruckten Buch vor. Den Anfang wird dabei Der Untergang von Ceras machen.
Nachtrag zu den Layout-Änderungen
Leider bin ich auf einige Probleme gestoßen. Genauer gesagt, den Bruder oder die Schwester der Komplikation, die mich schon bei den drop caps in den Wahnsinn trieb.
Statt der *-Lösung hatte ich als nächsten Schritt an einige hübschere Symbole gedacht, die zum Unicode gehören. Im Entwurf wurden sie auch ordnungsgemäß dargestellt, wie auch in einem Browser, mit dem ich den von mir überarbeiteten html-code teste. Nur bei der Kontrolle im kindle previewer waren die von mir ausgewählten Symbole plötzlich durch einen Platzhalter ersetzt worden – wenigstens für den kindle dx. Bei Kindle voyage und fire hingegen war alles in bester Ordnung. Nach einigen Tests bin ich dann auf zumindest einige Symbole gestoßen, die von allen Readern unterstützt werden, dabei aber unterschiedlich aussehen.
Was beim DX als ✱ erscheint, wird beim Fire (zumindest im Previewer) vom Stern zu sechs nicht miteinander verbundenen schwarzen Tropfen, was aber immer noch um Welten besser ist als ein ?.
Soweit zum Stand der Änderungen.
Die Diebin und der Spion ist überarbeitet und Rache für Ceras wird mit den Änderungen herauskommen. Im Lauf der kommenden Woche hoffe ich, Zeit für Der Untergang von Ceras und Die Zitadelle der Götter zu finden.
Informationen zu laufenden Projekten:
Im Moment nimmt die letzte Überarbeitung von Rache für Ceras den Großteil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch, aber ich hoffe, die zweite Kurzgeschichte im Rahmen des Arbatos-Zwischenspiels zeitgleich mit der Veröffentlichung von Rache vorbestellbar machen zu können.
Irgendwie habe ich die kleine Diebin Kaya ins Herz geschlossen und sie wird wohl noch das eine oder andere Abenteuer in Arbatos erleben.
Leseprobe Rache für Ceras (Stand 13.5.2018)
Da Rache für Ceras jetzt vorbestellbar ist und der Blick ins Buch erst Anfang Juni freigegeben wird, wenn das endgültige, korrigierte und überarbeitende Manuskript hochgeladen ist, stelle ich Prolog und Teile des ersten Kapitels hier vor.
Sollten sich Rechtschreibfehler eingeschlichen haben, entschuldige ich mich im Voraus dafür. Und ich wäre weder wütend noch gekränkt, sondern im Gegenteil erleichtert und dankbar, wenn man mich durch einen Kommentar oder eine mail darauf aufmerksam macht.
Beniar sah nicht mehr wie ein Skelett aus. In dem verlassenen Anwesen, in dem er die letzte Nacht verbracht hatte, war wie durch ein Wunder bei der Plünderung ein Wandspiegel unversehrt geblieben. Er hatte wieder einige Ähnlichkeit mit sich selbst. Seine schwarzen Haare waren auf eine ordentliche Länge gestutzt, von seinem langen Bart war keine Spur mehr zu sehen, er hatte deutlich an Gewicht zugelegt, nur war er auch weiterhin blass. Im Winter unterschied er sich dadurch allerdings nicht sonderlich von den Menschen, denen er begegnete.
Als vor vier Monden jemand die Banne durchbrach, die ihn so lange in der ewigen Dunkelheit seines Gefängnisses gehalten hatten, war er kaum mehr als ein verzweifeltes Tier gewesen. Seine Unsterblichkeit schützte zwar seinen Körper, aber Beniar war nicht sicher, wie lange sein Verstand die Gefangenschaft in absoluter Isolation noch heil überstanden hätte. Ihm war erst bewusst geworden, was er getan hatte, nachdem er alle Menschen, die er in der Nähe seines Verlieses vorfand, getötet hatte. Es waren zwar nur Menschen, aber zum Dank für seine Befreiung hätten sie etwas Besseres als den Tod verdient.
Die Welt war nicht mehr wiederzuerkennen seit seine ehemals treuen Mitstreiter Oprant, Hedianni, Jimas und Loredana ihn verraten und eingekerkert hatten. Wie es aussah, waren die Arbat verschwunden und zumindest einige Menschen hatten gelernt, Magie zu wirken. Schon die Existenz der Menschen bedeutete, dass seine einstigen Verbündeten, die Dar-Arbat, im Konflikt mit ihren menschenfreundlichen Brüdern und Schwestern unterlegen waren. Doch wie viel Zeit war seit Beniars Gefangennahme verstrichen? Die wenigen misstrauischen Menschen, denen er begegnet war, hatten so gut wie nichts von ihrer Geschichte gewusst. Lag es an ihrer Kurzlebigkeit oder waren Menschen wirklich kaum mehr als Tiere, wie die Dar-Arbat geglaubt hatten? Jedenfalls schienen sie Ereignisse, die sich vor mehr als einer oder zwei Generationen in der Vergangenheit zugetragen hatten, nicht mehr einordnen zu können. Sie erzählten von einem König Haleb, der in Anward so lange regierte, wie sie und ihre Eltern zurückdenken konnten, von einem entsetzlichen Krieg, in dem Anward einer Nation mit dem Namen Ceras vor vierzig Jahren unterlegen war, aber nichts davon half Beniar weiter. Alleine die Tatsache, dass die Menschen genug Zeit gehabt hatten, ihre eigenen Reiche zu errichten, bedeutete, dass seit dem Verschwinden der Arbat und der Dar-Arbat eine Ewigkeit verstrichen sein musste. Hätte er doch nur die Menschen, die seine Gefangenschaft beendet hatten, nicht getötet. Einige von ihnen hatten Magie gewirkt. Also waren sie zumindest des Lesens und Schreibens mächtig. Sein nächster Schritt hing ganz davon ab, ob noch irgendwo auf dieser Welt potenzielle Verbündete für Beniar existierten.
Darüber hinaus brauchte Beniar Zeit, um sich zu erholen. In seinem geschwächten Zustand durfte er auf keinen Fall einem seiner vier Feinde in die Hände fallen. Sogar die zierliche Hedianni, über deren nicht sehr ausgeprägte magische Begabung sich die meisten Unsterblichen immer lustig gemacht hatten, könnte ihn in momentan wahrscheinlich ohne große Probleme überwältigen. Oprant, vor allem aber Jimas und Loredana, wären vielleicht sogar dazu in der Lage, ihn erneut zurück in sein Verlies zu verfrachten. Dieses Mal, um endgültig darin zu verrotten. Er entschloss sich, den Winter in diesem Land zu verbringen und nach jemandem zu suchen, der gebildet genug war, um vielleicht etwas über den Verbleib der Arbat zu wissen.
Lina war wütend. Gorlum, einer der Freunde ihres Bruders Hezel, hatte ihr angeboten, sie auf der Suche nach Winterfeuer zu begleiten. Das rote Kraut gedieh im Winter prächtig und getrocknet konnte man es das übrige Jahr zum Würzen verwenden. Und wie hatte sie auf das Angebot reagiert? Sie hatte mit einer hölzernen Schale nach Gorlum geworfen, die ihn nur knapp verfehlte. Alles nur, weil Gorlum ihr hinterherlief wie ein junger Hund. Lina war siebzehn, knapp über drei Schritt groß, schlank und mit ihren dunkelbraunen Locken und ihren neugierigen, braunen Augen waren die meisten Menschen in ihrer Umgebung der Meinung, sie sei ziemlich hübsch. Deshalb erwarteten alle in ihrer Familie von ihr, bald zu heiraten.
Jetzt wünschte sie sich, Gorlum bei sich zu haben. Winterfeuer gedieh an schwer zugänglichen Orten und eben hatte sie versucht, eine Pflanze zu erreichen, die aus einem Felsspalt in sieben Schritt Höhe wuchs. Wäre Gorlum bei ihr gewesen, hätte sie sich einfach auf seine Schultern stellen können und die scharfen, roten Schoten wären sicher in ihrem Bündel verstaut. Natürlich hätte er bei der Gelegenheit versucht, einen Blick unter ihre Röcke zu werfen, aber im Winter war Lina so dick eingepackt, dass es nichts für ihn zu sehen gegeben hätte. So war sie alleine, ohne Gorlums Hilfe, vorsichtig die vereiste Felswand hinaufgeklettert, hatte gerade ihre Hand nach dem Winterfeuer ausgestreckt und den Halt verloren. Zum Glück hatte der Wind am Fuß des Felsens Schnee angehäuft, der für einen nicht ganz so harten Aufprall auf dem Boden sorgte. Trotzdem lag sie jetzt im Schnee, das Winterfeuer sieben Schritt über ihr schien sie zu verhöhnen und ihr Hintern schmerzte trotz des Schnees.
Alles nur, weil sie es leid war, wie Gorlum oder andere junge Männer aus dem Dorf ihr nachstellten. Manchmal kam sie sich vor wie ein Reh, das von einem Rudel Wölfe umkreist wurde. Dabei interessierte Lina sich nicht für sie, konnte sich nicht vorstellen, mit einem von ihnen den Rest ihres Lebens zu verbringen. Gorlum war der Sohn des Wirts und sobald er den Mund aufmachte, sprach er davon, welche Pläne er für das kleine Gasthaus hatte, sobald seine Eltern es ihm überließen. Der Haken daran war, dass Gorlums Eltern voraussichtlich noch weitere zwanzig Jahre die Schenke betreiben würden. In dieser Zeit wäre Gorlum kaum mehr als ein Knecht und Gorlums Frau eine unbezahlte Magd.
Gorlum wusste aber wenigstens, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Die anderen, die sich für Lina interessierten, waren wenig mehr als kleine Jungen in den Körpern fast erwachsener Männer, deren Köpfe mit allerlei Unsinn gefüllt waren. Sie unterschieden sich nicht von ihrem Bruder Hezal, der mit seinen neunzehn Jahren eigentlich reifer sein sollte, aber jeden freien Moment, den er seinem Vater entkommen konnte, mit den beiden Kindern des Heilers verbrachte. Lina ging davon aus, dass nicht Hezals bester Freund, der neunzehnjährige Prajan, die Ursache für Hezals Besessenheit war, sondern Prajans wunderschöne sechzehnjährige Schwester Shahra. Welche Träume Hezal auch immer haben mochte, Shahra war eine Magierin und auch wenn hier in Elivar Magier und Unbegabte eng zusammenlebten, achteten Magier darauf, nur untereinander zu heiraten. Hezal konnte also träumen, aber in einem, spätestens in zwei Jahren würde er auf dem Dorfgrün stehen und Shahra dabei zusehen, wie sie mit einem jungen Magier aus einem anderen Ort oder vielleicht sogar der Hauptstadt Sycuse vermählt wurde.
Wie konnte Lina ihrem Bruder seine Träume vorwerfen, wenn der Grund für ihren Widerwillen gegen Gorlum und alle anderen jungen Männer des Dorfes einen Namen hatte – Prajan. Mit seinen langen, schwarzen Haaren und den nachdenklichen, beinahe schwarzen Augen sah er nicht nur fantastisch aus, sondern konnte auch von viel interessanteren Dingen erzählen als die gleichaltrigen Söhne von Bauern oder Handwerkern. Prajan machte sich auch als einziger niemals über Linas vollen Namen lustig. Denn eigentlich hieß sie Torealina, aber kein Mensch nannte sie so. Nicht einmal ihre Eltern, die ihr diesen altmodischen Namen gegeben hatten. Ihre Mutter Nola hatte Lina erzählt, eine Großtante habe der Familie dafür, dass Lina nach ihr benannt wurde, das gute Feld unten am Fluss geschenkt. Oh ja. Das gute Feld. Der Acker war vollkommen wertlos oder von den Göttern verflucht. So lange sie zurückdenken konnte, war jedes Jahr die Ernte auf dem Land entweder nach einem Wolkenbruch durch eine Überschwemmung vernichtet worden oder kurz nach der Aussaat hatten Wildschweine dafür gesorgt, dass erst gar nichts darauf wuchs. Jedenfalls rechtfertigte der Besitz dieses Grundstücks es nicht, Lina ihr gesamtes Leben mit diesem schrecklichen Namen zu bestrafen.
Sie traute Prajans Behauptung nicht, Torealina sei der Name eine der bedeutendsten Königinnen Elivars gewesen, Lina sollte also stolz sein und sich nicht für den außergewöhnlichen Namen schämen. Würde Prajan sie gerade sehen, wie sie hier wie ein Käfer im Schnee lag und sich den Hintern rieb, hätte er sie bestimmt ausgelacht. Bis vor zwei Jahren waren Prajan und Hezal beinahe unzertrennlich gewesen und wo einer von ihnen auftauchte, waren Lina und Shahra niemals weit weg. Dann kam der Moment, in dem Linas Figur weiblicher und Prajans Verhalten distanzierter wurde. Je weniger Zeit sie mit Hezal und Prajan verbrachte, umso mehr wurde sie von den anderen, langweiligeren und ungebildeten Jungen des Dorfes beachtet. Wäre sie eine Magierin oder besäße sie eine Spur von Magie, dann könnte sie Prajan ihre Gefühle gestehen. Als Unbegabte war sie dazu verdammt, einen der Dummköpfe aus dem Dorf zu heiraten, einige Kinder zu bekommen und in ihrem gesamten Leben nicht mehr von der Welt zu sehen als die Nachbardörfer.
Lina stand auf. Dabei stellte sie fest, dass auch ihr rechter Knöchel bei dem Sturz etwas abbekommen hatte. Sie blickte zum Himmel, der von grauen, bedrohlichen Wolken bedeckt war. Noch mehr Schnee. Und mit dem verletzten Knöchel konnte Lina sich glücklich schätzen, noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder die Siedlung zu erreichen. Sie wickelte sich enger in ihr Tuch, zog sich ihre dicken Wollhandschuhe an und machte sich hinkend auf den Weg zum Dorf.
Bei jedem einzelnen Schritt brannte Linas Knöchel wie Feuer. Wahrscheinlich war es am besten, wenn Prajans Vater Wadru einen Blick auf ihn warf und den Knöchel heilte. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zum Dorf. Wäre der Schneesturm nicht gewesen, hätte Lina die Lichter der Siedlung bestimmt schon sehen können. So schleppte sie sich durch den tiefer werdenden Schnee und betete, dass sie nicht in die falsche Richtung lief.
Der Pfad mündete in einen breiteren Weg. Lina fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. Vier Schritt vor ihr tauchten die Umrisse eines Wegweisers auf. Vor einigen Jahren ließ sich Gorlums Vater überreden, diese Hinweisschilder aufzustellen, um mehr Reisende in seine Schenke zu locken. Hier, am Fuß der Grünfälle, einer Gebirgskette, die sich bis ins Drachenzahngebirge im Osten zog, kamen allerdings nur wenige reisende Händler vorbei, die alle auch ohne Schilder den Weg ins Dorf fanden. Aber in einer Nacht wie dieser war Lina dankbar für das Schild. Die ersten Häuser des Dorfes sollten bald auftauchen.
Jetzt bemerkte sie Lichter. Lina runzelte ihre Stirn. Für Fackeln waren sie zu groß. Sie schienen sich mitten auf dem Dorfplatz zu befinden. Es sah fast so aus … nein! Das war nicht möglich. Ende des übernächsten Mondes wurde das Fest des Winterendes gefeiert. Dazu sammelten die Bewohner den ganzen Winter Äste und errichteten daraus drei Scheiterhaufen auf dem Dorfplatz. Und diese großen Feuer sahen aus, als brannten schon mindestens zwei von ihnen. Mehr als einen Mond zu früh. Hoffentlich hatte Hezal nichts damit zu tun. Ihrem Bruder und einigen seiner Freunde traute sie durchaus zu, aus Spaß oder während eines missglückten Streiches die Stapel angezündet zu haben. Weder der Rat der Ältesten noch der Priester aus dem kleinen Ardwene-Tempel würden begeistert davon sein. Sie humpelte schneller.
Die Freudenfeuer brannten wirklich. Aber weder Hezal noch Freude hatten etwas damit zu tun. Der Älteste, der Priester und fast alle Männer aus dem Dorf standen um die Flammen herum. Alle waren bewaffnet, die meisten mit einem Bogen, andere mit einer Axt. Sie starrten wie hypnotisiert auf die Scheiterhaufen. Erst als Lina den Kreis der Bewaffneten erreichte, erkannte sie verkohlte menschliche Überreste in den Flammen.
»Lina! Sibita sei gedankt. Du lebst.« Lina bekam kaum Luft, so fest schloss ihr Vater Harod sie in seine Arme. »Nola und ich haben uns schreckliche Sorgen gemacht. Du hättest schon vor Stunden zurück sein sollen, Kind.«
»Was geht hier vor? Wer sind die Toten, Vater?«
Harod umarmte sie erneut. »Die Tuemal-Anbeter kamen ins Dorf.«
Lina begann zu zittern. Diese religiösen Fanatiker stammten aus dem Norden der Grünfälle und man erzählte sich über sie die schrecklichsten Geschichten. Kleine Gruppen von ihnen fielen immer wieder in Elivar ein und entführten oder töteten Magier. Das letzte Mal waren sie vor über dreißig Jahren in der Nähe des Dorfes gesehen worden, als sie einen Onkel von Prajan verschleppten. Eine eisige Faust schloss sich um Linas Magen. »Was ist mit Prajan und Shahra? Geht es ihnen gut?«
Harod schüttelte traurig den Kopf. »Die beiden waren hier im Dorf. Prajan hat die meisten der Fanatiker getötet, die der Ältestenrat gerade verbrennen lässt. Dann ist er von ihnen überwältigt worden. Sie haben ihn mitgenommen.«
Plötzlich lachte Harod. Lina blickte ihren Vater überrascht an. Hatte er seinen Verstand verloren?
»Shahra ist gerettet worden und du wirst nicht glauben von wem, Lina. Ausgerechnet von Hezal. Sie befand sich schon in der Gewalt einiger Tuemal-Anbeter, dann hat dein verrückter Bruder einem von ihnen einen Pfeil durch den Hals geschossen und dem anderen sauber ins rechte Auge. Danach ist er zu ihr gelaufen und hat sie in Sicherheit gebracht.«
»Hezal?« Linas Bruder sollte eine selbstlose Tat vollbracht haben? Das war absurd. »Sogar Mutter schießt besser als er. Haben die Männer etwa drei Schritt vor ihm gestanden?«
»Nicht ganz. Er hat sich bis auf dreißig Schritt an sie herangeschlichen. Offenbar waren Shahras Angreifer damit beschäftigt, ihre Kameraden bei ihrem Kampf mit Prajan zu beobachten.« Harod wurde sehr ernst. »Am liebsten hätte ich Hezal seinen Hintern versohlt. Neunzehn Jahre hin oder her. Mit diesen Männern aus dem Norden ist nicht zu spaßen. In der Schenke haben sie drei Gäste getötet, nur weil sie Waffen trugen. Die Wachen eines Händlers hatten keine Chance. Eben saßen sie noch bei einem Humpen Bier und einer Schüssel Eintopf und im nächsten Moment waren sie tot. Hätte dein Bruder nicht das Glück von Heuris selbst gehabt, müssten wir uns jetzt um seine Beerdigung kümmern«
Lina schluckte. Und sie hatte geglaubt, ihr geprellter Knöchel sei ihre größte Sorge. »Aus dem Dorf gab es aber keine Opfer, oder?«
Harod blickte Lina traurig in die Augen. »Shahra hat alle verloren, Lina. Prajan ist entführt worden und bei ihren Eltern Wadru und Lavira haben die Angreifer gar nicht erst versucht, sie lebend zu fangen. Vor ihrem Angriff auf Shahra und Prajan haben sie beide aus dem Hinterhalt überfallen und getötet.«
Die arme Shahra. Was sollte aus ihr jetzt werden? Besaß sie überhaupt andere lebende Verwandte?
Gerade so als ob sie durch Linas Gedanken heraufbeschworen worden wäre, tauchte die schwarzhaarige Shahra zwischen den beiden brennenden Scheiterhaufen auf. Sie trauerte um ihre Familie und hatte offensichtlich vor kurzem geweint. Doch selbst mit rotgeränderten Augen starrte die Hälfte der versammelten Männer die Magierin mit offenem Mund an. Unwillkürlich verglich Lina sich mit der ein Jahr jüngeren Shahra. Die Magierin trug ihre schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten, Lina verbarg ihre lockigen, braunen Haare unter einem selbst gestrickten Schal. Beide hatten große, braune Augen, doch während Lina sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um größer als drei Schritt zu sein, überragte Shahra sie um drei Spannen. Die junge, schlanke Magierin besaß scharf geschnittene Züge, die ihr ein edles Aussehen verliehen. Jeder wollte die schöne und doch so wehrlos erscheinende Shahra beschützen. Lina wusste, dass sie auch alles andere als hässlich war, doch wenn Männer zu ihr hinstarrten, dann im Sommer, wenn sie ihre Kurven nicht unter der weiten Winterkleidung verbarg. Wie die meisten anderen Mädchen im Dorf beneidete auch sie Shahras wegen ihres Aussehens.
Doch die Götter hatten heute gezeigt, dass alle Gaben, mit denen sie ihre Günstlinge beschenkten, ihren Preis hatten. Seit Lina wusste was Magie bedeutete, beneidete sie die dunkelhaarige Shahra um ihre Begabung. Dieselbe Gabe, wegen der Shahra keine Familie mehr hatte. Nein, jetzt hätte sie wirklich nicht mit ihrer Freundin tauschen wollen.
Shahra blickte von einem zum Dorfbewohner zum nächsten. Als sie Lina erkannte, zitterten ihre Lippen und sie rieb sich die Augen. »Wer begleitet mich, um meinen Bruder zu befreien?« Sie sprach leise. Ihre Worte übertönten kaum das Prasseln der Flammen.
Lina hielt den Atem an. Einer nach dem anderen senkte verlegen seinen Blick. Keiner der Bauern und Handwerker sagte etwas. Dann trat Linas Bruder Hezal vor. »Ich werde mit dir gehen. Ohne Wadrus Heilung hätte ich vor zwei Jahren meinen linken Unterschenkel verloren, als ich mir beim Holzhacken das Bein verletzt habe.« Er deutete auf den Schmied, in dessen riesigen Pranken sein größter Schmiedehammer wie ein Spielzeug wirkte. »Was ist mit dir, Korvian? Dein Sohn ist beim Arbeiten gestolpert und in die Esse gestürzt. Hätte Wadru ihn nicht geheilt, dann wäre er am selben Tag gestorben. Unser Heiler war für jeden von uns da. Tag und Nacht, immer ist er sofort gekommen, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu beschweren. Hat er sich jemals geweigert, einem von uns zu helfen?«
Was war mit ihrem Bruder geschehen? Auch ihr Vater schien seinen Sohn mit neuen Augen zu sehen. Hezal drückte sich in ganzen, verständlichen Sätzen aus. Trotzdem wollte niemand Shahra bei der Befreiung ihres Bruders helfen. Lina schämte sich für ihre feigen, egoistischen Nachbarn. Hezal schüttelte angewidert seinen Kopf, legte Shahra einen Arm um die Schulter und führte sie in die Dunkelheit.
Lina schreckte mitten in der Nacht auf. Es stürmte noch immer und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Da der Heiler ermordet worden war, hatte Linas Mutter Nola ihren verstauchten Knöchel bandagiert. Später brach sie zu Wadrus Haus auf, um zusammen mit anderen Frauen aus dem Dorf für Shahra da zu sein. Obwohl Lina einen anstrengenden Tag hinter sich hatte, war sie erst sehr spät eingeschlafen. Trotzdem war sie jetzt hellwach. Sie wälzte sich aus ihrem Bett und bereute ihr Vorhaben, aufzustehen, im selben Moment als ihre bloßen Füße die eiskalten Dielen berührten. Wenn sie schon wach war, konnte sie sich genauso gut anziehen, in die Küche gehen und heißen Tee kochen.
Das Feuer im Herd war fast heruntergebrannt. Seltsam. Hatte Nola etwa nicht nachgelegt, als sie von Shahra zurückkam? Wenigstens war noch genug Holz neben dem Herd gestapelt. So wurde ihr ein Gang durch den Schnee in den Schuppen neben dem Haus erspart. Lina lauschte auf die Geräusche. Außer dem Heulen des Windes und dem gelegentlichen Rütteln an den Läden war es im Haus seltsam still. Erst jetzt bemerkte sie die offene Tür zur Kammer ihrer Eltern. Auf Zehenspitzen schlich sie hinüber und warf einen Blick hinein. Das Bett war unberührt. Sie runzelte die Stirn. Es war doch mitten in der Nacht und zumindest ihr Vater sollte im Bett liegen und mit seinem Schnarchen die Wände erbeben lassen.
Plötzlich fühlte Lina sich sehr alleine und verletzlich. Die Tür zum Zimmer ihres Bruders war geschlossen. Wenn sie Hezal weckte, nur weil sie beunruhigt war und sich fürchtete, würde er sie bis in alle Ewigkeit leiden lassen. Sie überlegte kurz, dann fuhr sie bei einer heftigen Windböe, die um das Haus heulte, zusammen und stürzte in Hezals Kammer.
Hezal erwachte und blickte sich schlaftrunken um. »Was soll das? Es ist doch noch stockfinster und viel zu früh, um die Kühe zu melken.«
»Wir sind alleine, Hezal. Papa und Mama sind noch nicht zurück.«
Hezal setzte sich im Bett auf. Zumindest lachte er sie – noch nicht – aus. Aber mit Hezal konnte man nach dem Aufwachen noch nie etwas anfangen. Harod hatte einmal schmunzelnd festgestellt, dass Hezals Körper sich zwar bewegte und er seinen Aufgaben rund um den Hof nachging, aber er eigentlich noch tief und fest schlief. Das änderte sich erst, wenn er sein Frühstück in sich hinein schaufelte. »Mutter wird noch bei Shahra sein. Gorlum, einige andere und ich waren bei ihr, um auf sie aufzupassen, nachdem niemand ihr helfen wollte, Prajan zu befreien. Sobald die Frauen aus dem Dorf auftauchten, haben sie uns fortgejagt.«
»Und wo ist Vater, Hezal?«, fragte Lina unsicher.
»Keine Ahnung, kleine Schwester. Nachdem Mutter mich vor all meinen Freunden aus Wadrus Haus vertrieben hat, bin ich hierher zurückgekehrt. Vater war im Stall und nicht sehr begeistert darüber, wie ich mit den Ältesten und den übrigen Leuten aus dem Dorf geredet habe. Wäre ich nicht größer und stärker als er, dann hätte er mich wohl am liebsten übers Knie gelegt. So hat er mich nur einmal mehr darauf aufmerksam gemacht, dass wir auf unsere Nachbarn angewiesen sind und ich mich bei ihnen gleich morgen entschuldigen soll.« Im schwachen Schimmer der Glut, der aus der Küche in Hezals Zimmer fiel, leuchteten seine Augen in einem unheimlichen Rot, als sei ihr Bruder zu einem wütenden Dämon geworden. »Das werde ich aber bestimmt nicht tun. Wenn es uns nicht gelingt, Prajan zu befreien, hat unsere Heimat keinen Heiler mehr. Und ohne Heiler wird das Dorf eingehen, Lina. Dasselbe ist vor einigen Jahren in Kraintal passiert. Ein Überfall von Fanatikern, der Heiler und seine Frau starben und alle vier Kinder im Alter zwischen dreizehn und achtzehn verschleppt. Vater hat erzählt, wie der Ältestenrat aus Kraintal sich bemühte, einen neuen Heiler zu finden, aber keiner wollte das Risiko eingehen sich so weit im Norden anzusiedeln. Ohne Heiler begannen die Menschen zu sterben und nach drei Jahren fand ein Händler schließlich nur noch verlassene Häuser und Höfe vor.«
Linas schmerzender Knöchel war ein Vorgeschmack auf eine Zukunft ohne Heiler. Wäre Wadru noch am Leben, dann hätte Lina tanzen können statt bei jedem Schritt vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen zu müssen. »So schlimm wird es nicht werden, Hezal. Jetzt gehören Wadrus Hof und die Felder Shahra. Die jüngeren Söhne von Magiern aus anderen Siedlungen würden sich sogar um Shahra reißen, wäre sie hässlich.«
Hezal tat ihr leid. Er hatte Shahra vor den Angreifern gerettet wie ein echter Held. Aber ganz anders als in den Heldensagen, mit denen sie aufgewachsen waren, lebten der Held und das aus den Händen der Bestie errettete wunderschöne Mädchen nicht glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Genau wie ihre eigenen Tagträume von Shahras Bruder Prajan waren auch Hezals heute von der herzlosen Realität der Welt zerschmettert worden.
Obwohl Hezals Gesicht kaum mehr als ein hellerer Fleck in der Dunkelheit war, glaubte Lina seinen Schmerz darin zu erkennen. »Mach’ mir bitte auch einen heißen Tee, Lina. Ich ziehe mich an und dann suchen wir unsere Eltern.«
Sie nickte und ging zurück in die Küche. Auch Hezal schien sich Sorgen zu machen. Andernfalls wäre er nicht aus seinem molligen Bett aufgestanden.
Zum Schutz gegen den beißend kalten Wind warm eingepackt stapfte Lina hinter ihrem Bruder her. Ihr Hof lag am Rand des Dorfes und der Weg führte am Haus des Heilers vorbei. Hezal ging zwar nur drei oder vier Schritte vor ihr, aber in den wild wirbelnden Schneeflocken konnte sie seinen schattenhaften Umriss kaum erkennen.
Er brummte irgendetwas und bog vom Weg ab. Sie mussten in der Nähe von Wadrus Haus sein. Wenn Nola noch dort war, gab es bestimmt warmen Tee mit Honig. In einer Nacht wie dieser draußen zu sein war Wahnsinn. Lina würde es nicht zugeben, aber ausnahmsweise hatte Hezal recht. Sie spürte ihre Nase und ihre Wangen kaum noch. Anfangs war sie darüber froh gewesen, doch langsam begann sie sich Sorgen zu machen. Im Dorf gab es keinen Heiler, der eine erfrorene Nase behandeln konnte.
Etwas Schweres warf Lina um und trieb ihr die Luft aus den Lungen. Sie wollte schon Hezal fragen, was der Unsinn sollte, als er ihr seine Hand über den Mund legte. Ihr wurde kalt. Dieses Mal nicht wegen des Windes, sondern aus Angst. Wadrus Haus war hell erleuchtet. Vor dem Eingang lag ein halb unter Schnee begrabenes Bündel. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Lina, dass die Erhebung etwa die Größe eines menschlichen Körpers hatte.
Hezal deutete zum Stall neben Wadrus Haus. Dort bewachten einige Männer mindestens zwei Dutzend Pferde. »Das müssen dieselben Männer wie gestern Abend sein. Sie sind zurückgekommen.«
Lina starrte wieder auf die Bündel. Was war mit ihrer Mutter, was mit ihrem Vater?
»Wir müssen ins Dorf, Lina. Hier ist es zu gefährlich.«
Sie nickte stumm. Tränen liefen über ihr Gesicht, durchnässten ihr Wolltuch und erstarrten schnell zu Eis.
Im Dorf sah es nicht besser aus als bei Wadrus Haus. Hier hielten sich noch mehr Fremde auf. Man sah aber keinen einzigen Bewohner des Dorfes, zumindest nicht lebend. Die Scheiterhaufen waren längst heruntergebrannt. Die Schenke hell erleuchtet und das Grölen Betrunkener sogar im eisigen Wind deutlich zu hören. Hezal fluchte. »Was sollen wir tun, Lina?« Er blickte sie fragend an.
»Wir müssen aus dem Wind. Ich spüre meine Nase nicht mehr.« Ihre Tränen waren versiegt. Seit sie die Umrisse des Toten vor Wadrus Haus gesehen hatte, befürchtete Lina, dass es sich bei dem leblosen Bündel im Schnee um ihre Mutter Nola oder ihren Vater Harod handelte.
Hezal nickte. »Ongars alte Scheune im Süden vielleicht? Im Herbst gab es dort noch Stroh und das Dach war dicht.«
Ongars Scheune war der Ort, an den man auf keinen Fall mit einem Jungen alleine ging. Dass Hezal im Herbst dort gewesen war und es dort Stroh gab, wunderte Lina. Wäre sie vor Angst und Sorge nicht wie betäubt gewesen, hätte sie neugierig nachgefragt, mit welchem Mädchen er die Scheune aufgesucht hatte, aber so nahm sie die Tatsache nur wortlos zur Kenntnis.
Sie waren nicht die einzigen, die zu Ongars Scheune geflohen waren. Gorlum kauerte in einer Ecke, wippte vor und zurück und murmelte andauernd »Mörder«, einen anderen jungen Mann hatte Lina noch nie gesehen, aber seine Kleidung war zu elegant für jemandem aus dem Dorf. Vielleicht war er einer der Gehilfen des Händlers. Zwei von Linas Freundinnen weinten am entgegengesetzten Ende der Scheune still vor sich hin. Tarloda, die achtzehnjährige Tochter des Müllers war genauso dick gegen die Kälte eingepackt wie Lina und neben der Müllerstochter zitterte in einem dünnen, blutgetränkten Nachthemd die schluchzende Parini. Sie war so alt wie Lina und mit ihren roten Haaren, ihren grauen Augen und dem offenen Grinsen in ihrem Gesicht voller Sommersprossen der Schwarm aller jungen Männer Morswouds, aber niemand schien zu bemerken, dass sie am erfrieren war. Lina warf Tarloda einen tadelnden Blick zu, trennte sich schweren Herzens von ihrem Wolltuch, reichte es Parini und setzte sich neben sie, um sie wenigstens ein wenig zu wärmen. Tarloda schien erst jetzt zu erkennen, dass Parini nichts anzuziehen hatte und wickelte sie in ihren Pelzumhang.
»Was ist im Dorf geschehen?«, fragte Hezal den pummeligen Gorlum, der Linas Bruder aber nur verständnislos anglotzte und weiter vor und zurück wippte.
»Fanatiker. Die von gestern Nachmittag und noch andere.«, antwortete der Händler-Gehilfe in fast akzentfreier Hochsprache. Wahrscheinlich stammte er aus der Nähe der Hauptstadt und Lina schämte sich für die plumpe Sprache ihres Bruders. »Sie kamen kurz vor Mitternacht, sind in jedes einzelne Haus gestürmt und wenn sie in den Höfen nicht anders als in der Schenke vorgegangen sind, haben sie fast alle entweder umgebracht oder verschleppt.« Er deutete auf Parini und flüsterte fast, als er fortfuhr. »Was aus den Mädchen und den jüngeren Frauen wird, will ich mir nicht vorstellen. In den letzten Monden häufen sich solche Angriffe, bei denen ganze Siedlungen ausgelöscht werden. Mein Meister hat nach dem Überfall von gestern versucht, euren Ältestenrat zu warnen.« Der junge Mann lachte trocken. »Sie sagten nur, dass das nicht der erste Überfall war und sofern die Götter sich nicht besonders gnädig zeigten, es auch nicht der letzte sein würde. Wegen des Wetters weigerten sie sich sogar, Wachen aufzustellen und ohne diesen von Chillon gesandten Sturm wäre mein Meister längst aufgebrochen. Hätte er geahnt, dass der Schneesturm die Tuemal-Anbeter nicht fernhält, wäre er das Risiko eingegangen und geflohen. Stattdessen ist er jetzt tot.«
Sollte der Fremde recht haben und wirklich alle oder zumindest die meisten Bewohner der Siedlung verloren sein, dann war dieser traurige Haufen alles, was von der Welt, die Lina kannte, noch übrig war. Erneut kamen ihr die Tränen, die dieses Mal viel länger brauchten, um zu versiegen.
Das Dorf war tot. Alle Bewohner waren verschleppt worden. Aber abgesehen vom Gasthaus, wo Gorlums Vater zusammen mit fast allen Gästen getötet worden war, gab es zum Glück nur wenige Leichen. Eine davon war aber Parinis Vater. Er hatte mit einem Angreifer gekämpft und ihn erschlagen, war dabei aber so schwer verwundet worden, dass er in den Armen seiner Tochter verblutete. Das Blut auf ihrem Nachthemd stammte also von ihm. Nachdem auch Shahra in ihre Hände gefallen war, hatten die Tuemal-Anhänger doch, was sie wollten. Warum entführten sie alle aus dem Dorf? Wenigstens waren Linas Eltern nicht unter den Toten. Und so lange sie lebten, konnte Lina darauf hoffen, dass sie ihren Häschern irgendwie entkamen. Nicht viele Menschen kannten sich in den Wäldern der Grünfälle so gut aus wie ihr Vater Harod.
Hezal war auf dem Weg zu Harods neuer Räucherkammer. Nola hatte sich zwei Jahre lang über den Rauch beklagt, den der Wind meistens geradewegs zur Wäsche blies, die zum Trocknen im Hof hing. Irgendwann baute Harod dann eine neue, größere Räucherkammer ein gutes Stück von Nolas trocknender Wäsche entfernt im Wald. In der Zwischenzeit durchsuchte Lina das Haus nach brauchbaren Dingen. Abgeschlachtetes Vieh im Stall, die geleerte Speisekammer und im ganzen Haus wahllos verteilte Kleidungsstücke aus umgeworfenen Schränken oder Truhen zeigten, dass irgendwann im Laufe der letzten beiden Tage einige der Angreifer den Weg zum Hof gefunden hatten. Abgesehen von etwas Kleidung zum Wechseln packte Lina nichts in ihr Bündel. Wie die meisten Überlebenden, die nach dem Aufbruch der Fanatiker aus ihren Verstecken gekrochen waren, wusste sie nicht, wie es weitergehen sollte. Im ganzen Dorf gab es so gut wie keine Vorräte mehr und der Winter dauerte noch lange. Doch damit nicht genug, für das Frühjahr fehlte es an Saatgut. Einige der Überlebenden planten, nach Süden zu ziehen, um ihr Glück in der Nähe der Hauptstadt Sycuse zu versuchen. Sie wurden nur von dem Wunsch getrieben, so weit wie möglich weg von den Tuemal-Anhängern aus dem Norden zu kommen.
Hezal wollte so schnell wie möglich den Plünderern folgen und versuchen, ihre Eltern, Shahra und Prajan aus ihrer Gewalt zu retten. Ihrer Spur hätte ein Blinder folgen können, da sie sogar die drei Wagen des Händlers mitnehmen mussten, um ihre gesamte Beute zu transportieren. In den letzten beiden Tagen waren sie wahrscheinlich kaum eine Tagesreise weit nach Norden gezogen. Hezal behauptete, es wäre ein Kinderspiel, sie einzuholen, alle Dorfbewohner nachts zu befreien und dann so schnell wie möglich nach Süden zu fliehen. Es musste ihnen einfach nur irgendwie gelingen, aus den Grünfällen herauszukommen. Sobald sie erst einmal die dichten Wälder im Herzen Elivars erreichten, waren sie in Sicherheit.
Lina war weniger zuversichtlich als ihr Bruder. Natürlich hoffte sie ebenso wie Hezal auf die Rettung ihrer Eltern und all der Menschen, mit denen sie aufgewachsen waren, aber in ihren Ohren klang sein verrückter Plan viel zu riskant und konnte unmöglich gelingen. Zum Glück schien ihn niemand begleiten zu wollen. Bis jetzt.
Mein derzeitiges Projekt, Rache für Ceras, der zweite Teil der Ceras-Saga, entwickelt sich gut. Beim Plot haben sich (bislang) keine unlösbaren Probleme ergeben und sogar die erbarmungslose Wortzählung von Scrivener zeigt an, dass ich nicht hinter den anvisierten Zielen zurückbleibe.
Das Cover liegt auch schon bereit, ich muss also „nur“ noch den Plot abarbeiten und eine Geschichte drumherum schreiben.
Schlechte Nachrichten!